Stellungnahme zu Verhaltensregeln außerhalb des gesetzlichen richterlichen Dienst- und Disziplinarrechts

Der österreichischen Rechtstradition verpflichtet, sind die beruflichen wie außerberuflichen
Dienstrechte und -pflichten der Verwaltungsrichter:innen teils schon in der Verfassung, zum
Großteil in den einfachen Bundes- und Landesgesetzen geregelt.

Wiederholt wurden Versuche unternommen, darüber hinausgehend Regeln über das Verhalten von
Richter:innen als Ethik- oder Verhaltenskodizes oder Compliance-Regeln o.ä. zu formulieren;
zuletzt wurde an manchen Verwaltungsgerichten von den Präsidien ein Entwurf solcher Regeln
verteilt, dies ohne Einbeziehung der Interessensvertretungen.

Das Consultative Council of European Judges (CCJE – Beirat der Europäischen Richter) beim
Europarat behandelte schon im Jahr 2002 in seiner Opinion Nr. 3 über Grundsätze und Regeln,
die das Verhalten von Richter:innen bestimmen, u.a. Fragen von Ethik- oder Verhaltenskodizes.
Kodifizierte Verhaltensregeln helfen Richter:innen, Fragen im Bereich der beruflichen Ethik zu
beantworten, indem sie ihnen Autonomie im Entscheidungsprozess und die Unabhängigkeit von
anderen Behörden garantieren. Sie informieren die Öffentlichkeit über diejenigen
Verhaltensstandards, die sie von den Richter:innen berechtigterweise verlangen kann, und helfen
dabei, der Öffentlichkeit zu versichern, dass die Justiz unabhängig und unparteiisch ist.

Der CCJE betont jedoch dort in Rz. 48, dass, um die richterliche Unabhängigkeit mit dem nötigen
Schutz zu versehen, sich jede Stellungnahme über berufliche Verhaltensstandards u.a. darauf
gründen sollte, dass solche Verhaltensregeln von den Richter:innen selbst entworfen werden; sie
sollten von der Richterschaft selbst verfasste, selbstregulierende Instrumente sein, die den Dienstund Disziplinarbehörden zu einer Legitimitätsgrundlage verhelfen, indem sie innerhalb generell
anerkannter ethischer Standards operieren.

Solche von Richter:innen selbst verfasste ethische Grundsätze gibt es bereits, die von den
verschiedenen Standesvertretungen ausgearbeitet und von den Mitgliedern in den dazu
vorgesehenen Gremien beschlossen wurden.

Abgesehen davon begegnen Ethik- oder Verhaltenskodizes folgenden Bedenken:
Werden sie von der monokratischen Justizverwaltung erlassen, werfen sie die Frage auf, ob oder
inwiefern solche – nach dem innerstaatlichen Stufenbau der Rechtsordnung als Weisung zu
qualifizierende – Anordnungen eine Pflicht zur Befolgung auslösen oder Richter:innen in
Dienstrechten verletzen; eine abschließende Klärung könnte erst in Dienstrechtsverfahren erzielt
werden.

Sollten solche Regeln darauf abzielen, das Verhalten von Richter:innen sanktionsbewehrt, also für
den Fall der Zuwiderhandlung mit Disziplinarstrafe bedroht, zu bestimmen, stellt sich die Frage
der Beachtlichkeit und Verbindlichkeit solcher Erlässe für Disziplinargerichte.
Im Übrigen sieht die Verfassung weder für die monokratische noch für die kollegiale
Justizverwaltung eine Zuständigkeit zur Erlassung solcher Regeln vor. Es bliebe daher bei der
Empfehlung des CCJE, dass solche Kodizes von der Gesamtheit der betroffenen Richter:innen
selbst formuliert werden.
Beinhalten solche Verhaltenskodizes Vorgaben, die die richterliche Tätigkeit regeln, so greifen
diese unmittelbar in die Unabhängigkeit der Richter:innen in Ausübung ihrer richterlichen Tätigkeit
ein.

Regelungen von Verhalten nicht nur in der Funktion als Richter:in und am Gericht, sondern auch
außerhalb der richterlichen Tätigkeit einschließlich außerberuflicher Aktivitäten können zur
Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte führen, die – wie für alle Menschen – auch für
Richter:innen gelten. Es muss auch Richter:innen frei stehen, außerberufliche Aktivitäten ihrer
Wahl nachzugehen und ihrer Meinungsäußerungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit sowie der
Teilnahme an Vereinigungen nachkommen zu können. Keinesfalls darf die Meinungsäußerungsund Versammlungsfreiheit von Richter:innen derart eingeschränkt werde, dass die Äußerung
sachlicher Kritik, eine Mitgliedschaft oder aktive Tätigkeit bei Interessensvertretungen und ein
allgemeiner Austausch unter Richter:innen in Frage gestellt wird.
Zudem bleibt die Frage offen, wem die Beurteilung obliegt, ob ein Verhalten einem Kodex
entspricht. Nach den Vorgaben des CCJE sollen solche Gremien von Interessensvereinigungen
eingerichtet werden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass außergesetzliche Regeln über das Verhalten von
Richter:innen, welche nicht von der Richterschaft selbst verfasst wurden und einen breiten
Konsens genießen, abzulehnen sind.

Dr. Markus Thoma
für den Dachverband der
Verwaltungsrichterinnen
und Verwaltungsrichter
ZVR-Zahl 1432429874