Der jüngst erschienene Bericht der Europäischen Kommission über die Rechtsstaatlichkeit 2024 hält in seinem Länderkapitel zur Lage in Österreich einleitend fest, „[d]ie Justiz in Österreich wird weiterhin als sehr unabhängig wahrgenommen und das Justizsystem funktioniert effizient. Während die jüngsten Reformen der Ernennungsverfahren für den Präsidenten bzw. die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und der Richteramtsanwärter:innen umgesetzt wurden, wurde nichts unternommen, um die Beteiligung der Justiz an der Ernennung der Präsident:innen bzw. Vizepräsident:innen der Verwaltungsgerichte sicherzustellen. Die in diesem Bereich nach wie vor bestehenden Bedenken werden durch die erhebliche Verzögerung bei der Ernennung des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts noch unterstrichen.“ Der Bericht konkretisiert angesichts der Befugnisse und Pflichten der Präsident:innen bzw. Vizepräsident:innen, die auch Rechtssachen entscheiden, Bedenken in Bezug auf die Einhaltung europäischer Standards: Entscheide die Exekutive über die Ernennung von Richter:innen, sollte nach den Empfehlungen des Europarats eine unabhängige zuständige Behörde, die zu einem wesentlichen Teil aus Vertreter:innen des Justizwesens bestehe, zur Abgabe von Empfehlungen oder Stellungnahmen berechtigt sein, die für die Exekutive in der Praxis ausschlaggebend seien. Eine spezielle gerichtliche Überprüfbarkeit der Ernennungsverfahren bestehe in Österreich nicht.
Der Bericht empfiehlt, der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, die Justiz an der Ernennung der Präsident:innen von Verwaltungsgerichten zu beteiligen, und dabei europäische Standards für die Ernennung von Richter:innen und die Auswahl von Gerichtspräsident:innen zu berücksichtigen.
Das Vertrauen des Volkes in die Gerichtsbarkeit fußt nicht nur auf dem Vertrauen in die Unabhängigkeit der einzelnen Richterin und des einzelnen Richters, sondern baut auch auf dem Vertrauen auf eine Leitung der Gerichte durch Präsidentinnen und Präsidenten sowie Vizepräsidentinnen und -präsidenten, die politischen Einflüssen fern sind, auf.
Der Dachverband der Verwaltungsrichterinnen und -richter wiederholt daher seine Forderung, auch für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit Besetzungsverfahren, in die europäischen Standards 1 entsprechend unabhängige richterliche Gremien entscheidend eingebunden werden.
Dr. Markus Thoma
Dachverband der Verwaltungsrichterinnen
und Verwaltungsrichter
ZVR-Zahl 1432429874
1 vgl. etwa Opinion No. 19 des CCJE über die Stellung von Gerichtspräsidenten, RN 37 ff